Sportsoziologe Gebauer: „Gelsenkirchen hat nur Schalke 04“

Professor Gunter Gebauer ist Fan von Holstein Kiel, vor allem aber Experte für Sportsoziologie, wofür er Professor an der Freien Universität Berlin war. Immer noch ist der inzwischen 81-Jährige ein gefragter Gesprächspartner zum Fußball und dessen Bedeutung in der Gesellschaft. Zuletzt traf sich die WAZ mit Gebauer und sprach mit ihm über den Fußball des Ruhrgebiets.
Zunächst stellt Gebauer fest, dass der Fußball des Ruhrgebiets immer mehr an Prestige verliere. Aktuell spielt erstmals nur ein einziger Club aus dem Revier in der Bundesliga, nachdem der VfL Bochum in der Vorsaison den Klassenerhalt verpasste. Dabei sei der Fußball im Revier besonders wichtig für die Menschen, böte im immer noch andauernden Strukturwandel nach dem Ende des Bergbaus hohes Potenzial zur Identifikation.
Dieser Wandel sei zum Beispiel in Bochum mit seiner Universität mit internationalem Renommee gut gelungen, auch als Kulturstadt sei Bochum wegen seines Theaters und einer lebendigen Kunstszene bekannt. „Andere Städte haben das nicht so gut geschafft. Dazu zählt auch Gelsenkirchen“, fährt Gebauer fort und blickt gleich auf die besondere Situation in Gelsenkirchen.
Hier sei die im Ruhrgebiet ohnehin schon größere Treue der Fans als in anderen Regionen noch einmal besonders ausgeprägt. Dass das so große Stadion weiterhin meist ausverkauft ist, obwohl man nun schon länger – und das recht erfolglos – in der 2. Bundesliga kickt, würde es an vielen anderen Standorten in Deutschland nicht geben.

Identifikation mit Schalke 04 besonders groß
Der Verein halte die Menschen, denen die Identifikation durch ihre Arbeit verloren gegangen ist, zusammen. „Gelsenkirchen (…) hat außer Schalke nicht mehr viel.“ Zwar gebe es noch einiges im Kulturbereich, das aber spiele für vielen weniger eine Rolle als der emotionale Faktor, den ein Fußballclub biete.
In Berlin lasse ein Abstieg bis auf die harten Fans die Stadt kalt. Das sei in Gelsenkirchen, aber auch in Bochum, anders, wo die ganze Stadt mit dem Verein mitfiebere. Weshalb viele Menschen dafür auch gerne ihr weniges Geld ausgeben, zumal die Verwurzelung als Fan von S04 oder auch des VfL eine gelebte Tradition sei, die man von seinen Eltern übernehme. Stärker als in anderen Regionen werde so der Club Teil der eigenen Biografien seiner Anhänger, was bei historischen Erfolgen wie einem Europapokalgewinn noch einmal intensiver geschehe.
Zwar sei es wichtig, die Vergangenheit eines Clubs oder einer Region aufzubewahren, wie im Falle des einem Stollen nachgeahmten Spielertunnels in der Veltins-Arena. Ein zu lange Klammern an Vergangenem könne aber auch hinderlich sein, was weniger für Spieler und Trainer gelte, die ohnehin meist nur eine kurze Verweildauer besäßen. Vielmehr meint Gebauer damit die handelnden Personen innerhalb der Vereinsstrukturen. Diese seien nicht immer die progressivsten, was Clubs manchmal unnötig lähme. Welchen der Ruhrgebietsclubs er dabei im Sinn hat, erwähnt Gebauer gegenüber der WAZ allerdings nicht.